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Shiatsu - Die Kunst der Berührung

Berührungen sind im menschlichen Leben allgegenwärtig. Sie trösten, sie beruhigen, lindern Schmerzen, vermitteln Nähe, Zuwendung und Liebe. Ohne sie kann sich der menschliche Organismus nicht entwickeln. Shiatsu, die Kunst der gezielten Berührung, wirkt noch viel weiter auf die Gesundheit eines Menschen. Das hängt auch mit seinem fernöstlichen Verständnis von Gesundheit zusammen.


Shiatsu ist eine Körperarbeit, bei der sich alles um Berührung, Hinwendung und Achtsamkeit gegenüber dem Klienten dreht. Wörtlich übersetzt bedeutet Shiatsu „Fingerdruck“. Oft wird es als Druckmassage bezeichnet und als Wellnessbehandlung mit japanischem Flair beschrieben. Doch Shiatsu kann und will mehr: Anders als eine Massage zielt Shiatsu nicht auf die Körperstruktur ab, sondern sucht den Kontakt zur Lebensenergie Ki. Im Mittelpunkt der Behandlungen steht die Gesundheitsförderung. Wie die Wahrnehmung von Energien durch entspanntes Hinspüren genau funktioniert, ist schwer zu beschreiben und zu verstehen. Dies zu erlernen erfordert eine gründliche Ausbildung, die nach den Richtlinien des deutschen Shiatsu-Verbandes drei Jahre dauert. Aber sowohl Shiatsu-Geber als auch -Empfänger können bei einer solchen Behandlung spüren, dass etwas passiert.


Ziel ist es, durch sanfte Berührungen das energetische System anzuregen, in Balance zu bringen und die eigenen Kräfte zur Selbstregulierung zu aktivieren. Es geht darum, die Klienten zur Selbst-Wahrnehmung einzuladen, sie zu ermutigen, die Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen und sie bei Veränderungsprozessen zu unterstützen


Meridiane und Energien – das fernöstliche Verständnis von Krankheit


Hintergrund von Shiatsu ist eine traditionelle fernöstliche Weltanschauung und Gesundheitslehre in Verbindung mit modernen Erkenntnissen und Praktiken der Gesundheitsförderung. Gesundheit wird als ein Gleichgewicht verstanden. Ein Mensch gilt als gesund, wenn er mit sich und der Umwelt im Einklang ist, sich wohlfühlt und seine Lebensenergie (japanisch: Ki, chinesisch: Qi oder Chi) ungehindert fließen kann. Eine anhaltende Abweichung von der Balance stört nach dieser Vorstellung den Energiefluss und beeinträchtigt die gesunde Funktion von Körper, Geist und Seele, was sich in körperlichen Symptomen wie Verspannungen und Schlafstörungen, aber auch psychischen Beschwerden wie depressiven Stimmungen äußern kann. Shiatsu behandelt jedoch keine Beschwerden, sondern arbeitet mit der Selbstregulierungsfähigkeit des Körpers.


Shiatsu ist komplizierter als eine bloße Massage


Shiatsu ist komplexer als eine bloße Massage an ausgewählten Körperstellen und orientiert sich an erfahrbaren Energieverläufen, den so genannten Meridianen. Die geläufige direkte Benennung von Meridianen nach bestimmten Organen entstand erst im nachkommunistischen China und vor dem Hintergrund westlicher Physiologie. „Aus Erfahrung wissen wir, dass die Berührung bestimmter Bahnen und Punkte geeignet ist, leichter die gewünschten Energien zu erreichen, was auch eine regulierende Wirkung auf die mit ihnen verbundenen Organe haben kann. Aber wir sind keine Maschinen, an denen einfach ein An- und Aus-Knopf betätigt werden kann“, erklärt der Shiatsu-Lehrer Frank Seemann aus Bonn. Es gehe nicht primär um die Organfunktion, sondern um die damit verbundene energetische Komponente. Wenn beispielsweise von einer Störung im Magen-Meridian die Rede ist, ist die Energie gemeint, die dem Magen entspricht. Dann ist die Energie, die sagt: „Ich will auf etwas zugehen, et-was haben, ich brauche das, um mich zu nähren!“


Berührung, die bewegt


Zwischen 45 und 60 Minuten dauert die Ganzkörperbehandlung. Doch schon bevor sich der Klient in bequemer Kleidung auf die Matte oder den Futon am Boden legt, beginnt die Arbeit eines Shiatsu-Praktizierenden. „Ich schaue auf die Körperhaltung, die Stimme, Gesichtsfarbe, insgesamt auf das Auftreten des Klienten. Ist er schüchtern, hektisch, traurig? Von welchen Problemen berichtet er? All das fließt in unsere Arbeit ein“, erläutert der Shiatsu-Lehrer. Nach einem einleitenden Gespräch folgt die Behandlung in verschiedenen Positionen: In Rückenlage, auf der Seite, in Bauchlage und je nach Situation auch in der Sitzposition. In meditativer Stille wird mit Daumen, Handballen oder Ellenbogen in fließenden Bewegungen ein sanfter, aber intensiver Druck auf den Körper ausgeübt, der mehr Einsinken als kraftvolles Drücken ist. Anders als beim Kneten einer Massage übt der Shiatsu-Praktizierende Druck aus, in dem er sich nach vorn lehnt. Daneben gibt es Dehnungen, Rotationen, starke und schwache Berührungen sowie Übungsanleitungen für zu Hause.


„Ich arbeite an den Bereichen, die wir Meridiane nennen und spüre, welche Stellen sich sehr ungleich anfühlen. Schlaff, weich oder fest und verhärtet, aber auch kalt, leer oder übervoll. Ich trete mit dem Körper des Klienten in einen Dialog“, erklärt Frank Seemann. Ein Geschehen-Lassen, Innehalten und Spüren sowie das Vertrauen auf die eigenen Empfindungen nehmen einen großen Raum ein. Shiatsu ist wie ein Gespräch, das Menschen dazu befähigt, selbst ihr inneres Ungleichgewicht und dessen Auswirkungen wahrzunehmen. Es ist geprägt vom Begriff des „WU-WEI“ (Nicht-Tuns), was man als ‚mit dem Fluss fließen (und nicht dagegen)' verstehen kann. Ein ausgebildeter Shiatsu-Praktiker zwingt dem Klienten nichts auf, sondern holt ihn dort ab, wo er sich befindet und begleitet ihn.


Es sind besonders die Achtsamkeit der Berührungen und eine vertrauensvolle Atmosphäre, die dem Klienten eine tiefe Entspannung und ein inneres Loslassen ermöglichen. Ein Zustand, in dem Selbstregulation geschehen und Gesundwerdung zugelassen werden kann. Zwar kann eine einzelne Shiatsu-Behandlung bereits wirksam sein,  „doch um nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen, hat sich ein regelmäßiger Behandlungsrhythmus über einen längeren Zeitraum bewährt“, empfiehlt Frank Seemann. Voraussetzung ist, dass ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Dialogpartnern entstehen kann.


Shiatsu - Wellness, Entspannung oder Lebensbegleiter?


Shiatsu eignet sich für Menschen jeden Alters als Methode, um sich neu zu erfahren. In der Praxis wird es sowohl zur Gesundheitsförderung, therapiebegleitend bei Beschwerden oder als Wellnessbehandlung eingesetzt. Verschiedene Studien weisen positive Wirkung bei seelischen Belastungen, Stress und Schmerzen und allgemein eine Verbesserung des Wohlbefindens nach. Frank Seemann hat in seiner Praxis schon alle Facetten von Shiatsu erlebt. „Eine gestresste Chefsekretärin kommt z. B. immer freitags, um nach der Behandlung entspannt und belebt ins Wochenende zu gehen.“


Für sie ist Shiatsu einfach ihre ganz persönliche Auftank-Stunde, in der es nur um sie und ihr Wohlbefinden geht. „Daneben gibt es Klienten, die sich intensiv mit einem Thema befassen möchten. Sie nutzen beispielsweise Shiatsu, um neue Gedanken zuzulassen, eingefahrene Muster zu lösen oder sich von Beschwerden zu befreien.“


Doch ganz gleich, mit welchen Ansprüchen Menschen zum Shiatsu kommen. Es fühlt sich immer gut an und ist eine Gelegenheit, einmal bewusst Zeit für sich selbst zu nehmen und herauszufinden, wie man gern leben möchte.


ZITAT


„Sie können einen anderen Menschen, wenn Sie möchten, dass er sich verändert, nur einladen. Wenn das noch nicht reicht, ermutigen. Und wenn das immer noch nicht genug ist, können Sie versuchen, ihn zu inspirieren. Einladen, ermutigen und inspirieren – darauf kommt es an.“

Dr. Gerald Hüther



Gesellschaft für Shiatsu in Deutschland e.V. (GSD)


Die GSD vertritt Shiatsu seit 1992 als Berufs- und Interessenverband in Deutschland und zählt mittlerweile 1 200 Mitglieder. Eigene, kontinuierlich weiterentwickelte Standards und Anerkennungskriterien für Ausbildung und Praxis gewährleisten ein hohes Qualitätsniveau. Auf der Internetseite der GSD (www.shiatsu-gsd.de) können Interessierte sowohl nach Shiatsu-Praktikern suchen wie auch nach anerkannten Schulen, um die Kunst der Berührung selbst zu erlernen.



Shiatsu in Kürze


Nutzen: Eine repräsentative Drei-Länder-Studie der Universität Leeds belegt eine entspannende Wirkung von Shiatsu und eine Verbesserung von stressbedingten Symptomen wie Verspannungen und Erschöpfung.


Kosten: 50 bis 80 Euro für eine rund einstündige Behandlung

Kostenträger: In der Regel Selbstzahler, vereinzelt zahlen Krankenkassen einen Kostenanteil


Dauer: 45 – 60 Minuten, Zeitraum nach Absprache. Empfehlenswert zum Einsteigen ca. 10 Behandlungen


Lesen Sie mehr zum Thema in einem INTERVIEW von GesundeMedizin mit  Frank Seemann:


Claudia Kring



Danke für die Bereitstellung des Artikels durch Gesunde Medizin